12/1981 - SOUNDS

(English translation coming soon!)


Neue Balladen von dünnen Männern

Psychedelic Furs

Überall Psychedelia! Kurze Gitarrensoli, längere Haare, frühe Pink Floyd (bzw. Syd Barrett), haufenweise neue Bands und mittendrin eine, deren Name schon alles klar macht: The Psychedelic Furs. Die gehören ja wohl auch dazu.

Von Ewald Braunsteiner

Oder sind sie neue Romantiker? Als sie anfingen, gab es das alles noch nicht. 1977 hatte man nur die Walhzwischen BOFs und Punks. Die sechs Freunde aus London, die gerade eine Band gegrundet hatten, fühlten sich nirgendwo heimisch. Also mußten sie sich einen Namen suchen, mit dem sie sich von allen Fronten deutlich absetzen würden: „Viele Leute, z B. Johnny rotten, meinten, Psychedelia sei rubbish, Musik aus den Sechzigern“, erzählt Richard Butler, alias Butler Rep (nicht Rap!), Sänger und Texter der P. Furs. „Also war es natürlich sehr provozierend, sich als psychedelisch zu bezeichnen. Außerdem hatten alle brutale Namen: The Stranglers, The Clash, The Razorblades, The Sex Pistols.“ Auf Furs, also Nerze, war man durch einen Titel der Velvet Underground gekommen (eine der gemeinsamen Lieblingsbands): „Venus In Furs“. Kann man sich etwas Sanfteres, weniger Brutales als einen Nerz vorstellen? Also: Psychedelic Furs, Provokation im Quadrat.

Man meinte es aber durchaus ernst mit der Psychedelia. Weniger im Sinne des derzeitigen Revivals als im Sinne des Geistes von damals: experimentierfreudig, offen nach allen Seiten. Gegen Punk hatte die Band schon 1977 einen gesunden Widerwillen: „Die Punk-Gruppen liefen herum und sangen Lieder uber Anarchie, ohne wirklich zu wissen, was das bedeutet. Reines Phrasendreschen, sehr oberflächlich. Ansonsten waren ihre Texte nichts weither als Auflistung der Dinge, die sie hassten. Sehr negativ. Die erste Single, die erschient, trägt den programmatischen Titel „We Love You“ und ist eine Auflistung der Dinge, die Butlier liebt. Das Publikum reagierte zunächst naturlich wie immer in solchen Fallen, namlich spuckend, Bierdosen werfend, empört.

Mit der Zeit hatte die P. Furs dann allerdings doch ihre Anhängerschaft zusamme. Die englische Presse hat sie zwar bis auf den hetigen Tag stets abgelehnt, aber irgendwann hat jede gute Band, wenn sie häufig genug spielt, eine Anhangerschaft zusamme, und wenn die Zeitungen sie noch so zausen. The Monochrome Set ging es ähnlich. Die P. Furs unterschrieben also bei CBS, die beeindruckt waren von der hohen Zahl an Konzertbesuchern. Die erste LP erschien im Frühjahr 1980.

Schaut man sich die Rückseite des Covers ihrer Debüt-LP an, so werden Erinnerungen wach an die „Plastic Inevitable Show” der Velvet Underground zu deren Warhol-Zeiten. „Es fiel uns spater auch auf. Wir hatten aber nicht geplant. Vielleicht der Cover-Designer.“ Dennoch ist auch das Cover der zeiten LP, TALK TALK TALK, im Warhol-Stil gehalten (was dort auch extra erwahnt wird). Und steckt hinter „We Love You“ nicht etwas Ähnliches wie Warhols „Everything is lovely“-Ideologie? „Man kann nicht sagen ‘everything is lovely’. Das wäre für mich eine negative, depressive Einstellung. Nihilismus.“ Dennoch gibt Butler zu, daß Warhol einer seiner stärksten Einflüsse war. Den stärksten Einfluß bezog er aber von Bob Dylan, der in den Sechzigern sein Interesse an Sprache weckte. Die Prägung durch den großen alten Mann der Rock-Poesie durchzieht das gesamte Butler-Werk: „Give me all your papers, ma“, heißt „Mr. Jones“, während er „So Run Down“ zum Metrum von „Subterranean Homesick Blues“ singt. Die Ironie ist natürlich unverkennbar. Butler spielt mit seinem Idol, man kann das ernst nehmen oder sich darüber amüsieren.

Die Texte sind sowieso enorm wichtig bei den P. Furs „Fruher schrief ich die Texte wie Collagen. Ich hatte eine Anfangszeile und schrieb dann einfach das dazu, was mir einfiel. Ich wollte in jeden Text möglichst viel hinein bringen. Worum es eigentlich ging, merkteich dann erst am Ende.“ Heute ist das anders, jedenfalls etwas anders, heute weiß er meistens auch vorher schon, wovon ein Text handeln wird. Meistens geht es um das älteste Thema der Poesie, um Liebe. „Man kann auf zwei Arten Liebeslieder schreiben: Man kann referieren, erzählen, was passierte, daß man sich verliebt hat, verlassen wurde etc. oder man kann versuchen, die Gefühle, die einen bewegt haben, wiederzubeleben. Das ist das, was ich mache.“

Laßt uns konkret werden. In „No Tears“ heißt es „There’s demonstrations & demonstrations / Listen, to the weathermen / They’re not saying anything / … / You don’t have a point of view / You don’t have you say you do“ Was für Demonstrationen sind gemeint?

„Demonstrationen in den Sechzigern. Es ist ein Vergleich zwischen damals und heute, eine Art trauriger Rückblick. Die Weathermen (US-Anarchisten) sagen heutzutage gar nichts mehr aus, sie prügeln sich mit den Black Panthers und mit den White Panthers. Neulich wurden zwei Weathermen von der Polizei erschossen.“

„India“ – handelt es von dem, was die Guru-Bewugung in all den Jahren in Indien angerichtet hat?

„Das ist mehr das Thema von ‘Flowers’. ‘India’ ist ein Vergleich zwischen Indien und den USA. Die wichtigste Zeile ist „India / I’m American, ha-ha“. Ein sehr abstraktes Lied.“

„Sister Europe“?

„Sister Europe ist ein Mädchen, mit dem ich zusammen war. Das Mädchen, mit dem ich die Probleme auf TALK, TALK, TALK hatte. Damals war sie gerade hier auf dem Kontinent, um Sprachen zu lernen. Ein reines Liebeslied.“

„She Is Mine“? Mein Lieblingslied auf TALK TALK TALK.

‘She Is Mine’ ist über Liebe generell. Das Gefühl an sich ist großartig, aber was sonst alles passiert, nicht: sich verlieben, die betrefende Person seinem Lebensschema einzuverlieben, Abklingen der Liebe, Trennung etc. – ‘They’re making up things – That we all heard before / Like romance and engage / And divorce’“.

Einige der in „She Is Mine” beschriebenen Situationen klingen aber sehr konkret: „I had to pay the doorman / Just to let me / Use the door / I had to use a muscleman / To pick me off the floor“

„Das stimmt. Man muß sich eine Party vorstellen, wo alle Leute irgendwie gerade mit Liebe zu tun haben, davon betroffen sind, also sich gerade verlieben oder sich streiten oder sich trennen. Ich war irgendwann mal sehr brtrunken und man mußte mich tatsächlich vom Fußboden aufsammeln. Damals sah ich dieses Schema, in dem Liebesbeziehungen immer ablaufen, auf einmal sehr klar. Man kann sich nur davon fernhalten, man muß darüber lachen. – ‘You have to be crazy / To stay in this place / You just have to / Laugh at it all.’“

In „Pretty In Pink“ geht es um ein Mädchen, das sich für eine femme fatale hält – „She loves to be one of the girls.“ Die Männer brüsten sich, alle mit ihr geschlafen zu haben. Ich mag die Zeile „The one who insists / he was first in the line / Is the last to / Remember her name.“

„ja, das ist diese Einstellung ‘Oh, ja, ich hatte sie als erster – wie war doch gleich ihr Name?’ Es ist ein trauriges Lied, betrachtet man ihre Rolle. Im Refrain bin ich es dann, der sagt: ‘Trotzdem ist sie hübsch in rosa, das heißt, hübsch, wenn sie keine Kleider trägt.“

Mir gefallen die Balladen immer am besten.

„Es ist viel schwieriger, Balladen zu schreiben, wir jagen verzweifelt nach neuen Balladen. Obwohl die anderen in der Band lieber up-tempo-Stücke spielen. Ich habe die Balladen am liebsten möglichst leer, und dann wissen sie nicht wohin mit ihrer Energie. Wir haben eine neue Ballade, ‘Forever Now’. Es geht darin um das Wort ‘forever’ – immer. Die Leute sagen so häufig, ‘ich werde dich für immer’ gibt. Also ist es eine Lüge. Das ist es, was mich wütend macht, wenn die Leute solche Worte verwenden.“

Die P. Furs sind dennoch keine reine Textband. Musikalisch sind sie ein echtes Kollektiv. Sechs Leute – John Ashton und Roger Morris an den Gitarren, Tim Butler am Baß, Vince Ely hinterm Schlagzeug, Duncan Kilburn, der Saxophonist und Richard Butler, der Sänger – die alle die gleichen Sound-Vorstellungen haben. Sie produzieren einen mörderisch dichten, harten und lauten „Wall of Sound“, der es aber wert ist, näher ausgelotet zu werden. Dominierend sind die beiden Gitarristen, die sich gegenseitig mit sehr rauhen und sehr wilden Figuren jagen, eine sehr eigene Art, Gitarren einzusetzen. Minimalisten sind die P. Furs fürwahr nicht, aber sie arbeiten ökonomisch – kein Ton, der nicht eine feste Funktion im Gesamtzusammenhang hätte. Jeder Musiker ist in das Ganze fest integriert, wäre nichts ohne die anderen, aber der Gesamtsound wäre auch weniger ohne ihn.

Für mich sind die Psychedelic Furs wahre neue Romantiker. Was zur Zeit unter diesem Schlagwort gehandelt wird, diese ganzen freundlich-harmlosen Synthie-Schlager, findeich nicht die Spur romantisch, die miesten sind einfach ordinär. Bestenfalls sind sie einigermaßen charmant. Die Furs würde ich neben Bands wie Echo And The Bunnymen, The Teardrop Explodes und die fantastischen Postcard-Bands, Josef K., Orange Juice und die göttlichen Aztech Camera stellen. All diesen Bands geht es darum, Gefühlswelten aufzubauen, das ist schließlich auch der Sinn der Musik, und dessen sind sie sich bewußt. Verbindet sich gute Musik mit guter Dichtung (dieja letztlich auch ein Medium der Gerfühlsvermittlung ist) so entsteht daraus etwas, was sich mit sprachlichen Mitteln nicht mehr angemessen bescrheiben läßt, etwas Emotionales.

Was bei Richard Butler hinzukommt, ist Realismus, und der läßt die Band manchmal so aggressiv klingen. Es geht ihnen nicht darum, ihre Hörer in ein Fantasieland großer Gefühle zu entführen. Butler will der Welt das zurückgeben, was er, als er aufwuchs, von Bob Dylan empfangen hat. Der hat ihn nämlich zum Denken gebracht, hat ihm die Holflosigkeit gegenüber Emotionen genommen, indem er Sprache, Texte als Hilsmittel anbot. Wer sich für Sprache interessiert und mit Sprache beschäftigt, denkt auch klarer (und kann auch seine Gefühle besser analysieren).

In dieser Hinsicht sind die Psychedelic Furs ihren Kollegen von Echo & The Bunnymen und auch Julian Cope von The Teardrop Explodes (gegen den sie einen ziemlichen Haß hegen, da er es mit konstanter Bosheit versucht, sie in englischen Musikzeitschriften runterzumachen – als wäre das noch nötig) überlegen. Zu solcher Klarheit kommen die nicht.

Da merkt man auch genau, wo der Fehler liegt, den die Innerlichkeits-Bands vom Schlage der (späten) Cure, Joy Div. und Spießgesellen gemacht haben. Sie versuchen ihr Publikum zu entrücken. Sie sehen über ilhren eigenen Pipi-Frust nicht hinaus, kommen aus ihrem Hirnkasten nicht heraus. Reaktion der Zuhörerschaft ist ihnen egal (bezeichnenderwise spielen The Cure mittlerweile mit dem Rücken zum Publikum, sie lügen. Sie schläfern ein, statt wach zu machen. Die Welt Richard Butlers existiert hier und überall um uns herum. Seine Art, sich ihr zu nähern, sich mit ihr auseinanderzusetzen, liegt offen dar, man kann sich bedienen.

Und wenn der MÜV (Musikalischer Überwachungs-Verein) endlich einmal anfängt, die Spreu vom Weizen zu trennen, werden die Psychedelic Furs bestimmt nichts zu befürchten haben.

P.S.: Bevor ich’s vergesse: Für jeden Ton der Psychedelic Furs vergifte ich 1 Teena Marie mit Schwyzerkäs.

P.P.S der Red.: Für alle enttäuschten Furs-Fans in HH und Umgebung: Schuld daran, daß die Furs ihren Auftritt kurzfristig absagten, hatten vor allem U2, die ihren Soundcheck bis eine Viertelstunde vor dem geplanten Beginn des Furs-Gigs ausdehnten.